Die Europäische Union versteht sich als Wirtschaftsraum und Wertegemeinschaft mit offenen Grenzen und der Freizügigkeit der Unionsbürger. Doch nicht nur die Wirtschaft hat die Vorzüge des grenzüberschreitenden Handels für sich entdeckt. Auch die (Wirtschafts-) Kriminalität macht an der Staatsgrenze nicht halt oder nutzt diese gar, wie z.B. bei Umsatzsteuerkarusellen, für ihre Zwecke. Auf diese Entwicklung haben die EU-Staaten mit einer Europäisierung des Straf- und Strafverfahrensrechts reagiert.
Europäische Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden
Das prominenteste Handwerkszeug der europäischen Zusammenarbeit ist der EU-Haftbefehl, der die Fahndung, Festnahme und Überstellung im europäischen Raum deutlich erleichtert. Daneben haben die EU-Mitgliedstaaten mit der Europäischen Beweisanordnung ein Instrumentarium für eine effektive Beweisgewinnung innerhalb der EU geschaffen, die Verfahren beschleunigen und die gegenseitige Anerkennung justizieller Enscheidung fördern soll. Die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten erlaubt konzertierte Aktionen und eine engere Verzahnung. Dies bringt neue Herausforderungen mit sich.
Verfahrensrechte auf EU-Ebene
Mit dem Zuwachs an transnationalen Ermittlungen innerhalb der EU geht ein Bedürfnis einher, auch die Verfahrensrechte der Betroffenen an die neuen Anforderungen anzupassen. Auch in diesem Feld war die EU nicht untätig und hat mittels zahlreicher Richtlinien eine Harmonisierung der Standards vorgenommen. Darüber hinaus sind im EU-Sekundärrecht und der EU Grundrechte-Charta zahlreiche Verfahrensrechte anerkannt. Ein zentraler Schutzmechanismus ist in Art. 54 SDÜ und Art. 50 EUGrCH normiert: das Doppelverfolgungsverbot. Dieses soll gewährleisten, dass eine Justizentscheidung in einem Mitgliedstaat der EU grundsätzlich auch von anderen EU-Mitgliedstaaten anerkannt wird und die Person nicht befürchten muss, dass wegen derselben Tat ein weiteres Verfahren eingeleitet wird. Nur so ist es für Unionsbürger möglich, die Freizügigkeit zu nutzen und in andere EU-Staaten zu reisen.
Schutz der Freizügigkeit auch vor Auslieferungsersuchen aus Drittländern
Die deutsche und europäische Rechtsprechung hat diesen Ansatz sinnvoll weiter gedacht und anerkannt, dass dieser, innerhalb der EU gewährte Schutz auch dann notwendig ist, wenn Drittstaaten die Strafverfolgung gegen einen EU-Bürger betreiben. So soll kein deutscher Bürger, der wegen einer Straftat in Deutschland verurteilt oder freigesprochen worden ist, im Urlaub in Italien oder Frankreich befürchten müsssen, aufgrund eines internationalen Haftbefehls festgenommen und an einen Drittstaat ausgeliefert zu werden. Erstaunlicherweise fehlt(e) es insoweit an klaren gesetzlichen Regelungen, die erst in den letzten Jahren von der Rechtsprechung entwickelt worden sind. Europa wächst zusammen – auch auf Ebene des Strafrechts.