Schutz der Menschenrechte als Rechtspflicht im unternehmerischen Handeln?

Deutsche Unternehmen müssen nach den aktuellen Plänen für ein sogenanntes Lieferkettengesetz, auch Sorgfaltspflichtengesetz genannt, bald weitaus umfassendere Anstrengungen als bisher unternehmen, um gegen Menschenrechtsverletzungen ihrer Geschäftspartner vorzugehen. Während z.B. auch bei der Verhinderung des organisierten Mehrwertsteuerbetrugs die sogenannte Geschäftspartner-Compliance eine zunehmend wichtige Rolle in Branchen spielt, die traditionell mit Umsatzsteuerhinterziehungen in Verbindung stehen, stellt die Ausweitung unternehmerischer Verantwortung auf die Sphäre anderer Handelsteilnehmer im Bereich des Schutzes der Menschenrechte eine neue Kategorie dar. Das neue Gesetz ist ein Paradefall für die Verrechtlichung von Pflichten, die bislang nur als moralische Kategorien eine Rolle gespielt haben.

Die Ausweitung des Pflichtenprogramms von Unternehmen auf die Einhaltung von ökologischen und sozialen Standards und des Schutzes von Arbeitnehmern dritter Unternehmen ist Ausdruck eines rechtspolitischen Verständnisses, das Verantwortungssphären neu definiert und dem globalen Handel globale Rechtspflichten gegenüberstellt. Das ist in der Theorie überzeugend. In der Praxis führt es schnell zu einer Überforderung, die im schlimmsten Fall in unfairen Ergebnissen resultiert. Der Traum von einem Gleichlauf der entfesselten Macht ökonomischer Strukturen mit dem normativen Anspruch einer auf Gleichheit, Freiheit und Menschenwürde aufbauenden Gesellschaftsordnung führt leicht zu normativen Fehlschlüssen, also zu der Vorstellung, die Realität lasse sich durch immer weitere Regeln der Phantasie anpassen, wenn man es nur streng genug wolle. Das heißt nicht, dass Compliance-Anstrengungen von Unternehmen auch außerhalb der Grenzen der selbst gesetzten rechtlichen Wirkmacht falsch wären. Wie jeden Menschen, so geht auch Unternehmen ihre Umwelt etwas an. Aber rechtliche Regeln leben davon, dass ihre Erfüllung möglich sein muss.

Wenn aber die einzige Möglichkeit, sich rechtskonform zu verhalten, dazu führt, dass ein an sich sozial erwünschtes Geschäft nicht mehr und nur unter Inkaufnahme großer Risiken für die handelnden Personen möglich ist, stellt sich die Frage, ob den hehren Zwecken des Gesetzes, denen niemand etwas entgegenhalten wird, wirklich gedient ist. Die nun bald mit dem Lieferkettengesetz praktisch einer Vielzahl von Unternehmen auferlegte globale Verantwortung steht in einem Spannungsfeld zur traurigen Realität in vielen anderen Ländern dieser Welt. Es wird die Aufgabe einer verantwortungsbewussten und zugleich realistischen Compliance- und Rechtsanwendungspraxis sein, fromme Wünsche und stumpfe Wirklichkeit in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.

Mehr Informationen finden Sie hier.

+49 40 3039875-0